Im digitalen Zeitalter und einem Überangebot gleicher Services und Produkte verschiedener Anbieter stellt sich oft die Frage was denn dabei dann noch den Unterschied macht, vor allem wenn Produkt und Preis nahezu identisch sind. Hier können Unternehmen in der Regel nur noch, über eine positive User Experience und die Kundenzufriedenheit punkten. Hier hat der technologische Fortschritt viele neue Möglichkeiten eröffnet, die dabei helfen können sich von der Konkurrenz abzusetzen.
Eine davon ist es die Bedürfnisse der User zu antizipieren und ihnen so die bestmögliche User Experience zu bieten. Diese Disziplin nennt sich Anticipatory Design und findet bereits in vielen Branchen ihre Anwendung.
In diesem Artikel erfahren Sie, was es mit dieser Disziplin auf sich hat und ob sich der Einsatz vollständig oder auch nur in Teilen für Ihr Unternehmen lohnt.
Das Bedürfnis nach weniger Wahlmöglichkeiten
Grundsätzlich trifft der Mensch seine Entscheidungen fast ausschließlich auf emotionaler Ebene, gerade mal 5% aller Entscheidungen werden tatsächlich rational getroffen. Auch wenn wir also fast alle unsere Entscheidungen eher unbewusst und “aus dem Bauch heraus” treffen, verlangen sie uns Energie ab.
Aufgrund der Möglichkeit so ziemlich alles frei wählen zu können und bis ins kleinste Detail, die passende Option zu wählen, egal ob im E-Commerce oder anderen Dienstleistungsbereichen, kann es schnell zur Entscheidungsmüdigkeit kommen.
Wer die Wahl hat, hat die Qual
Neben der Flut an Entscheidungen die es im Alltag oder auch einfach nur beim Onlineshopping zu treffen gilt, spielen Faktoren wie Motivation, Qualifikation, Zeitdruck, Kosten etc. eine wichtige Rolle in diesem Prozess.
Denn diese Vielzahl an Wahlmöglichkeiten, Unmengen an Entscheidungen und äußeren Einflüssen führen schnell dazu, dass man sich überfordert fühlt, müde wird Entscheidungen zu treffen und eigentlich gar nicht mehr alles entscheiden möchte, bzw. Entscheidungen auch vermeidet.
Dadurch entsteht das Bedürfnis nach geringerer Auswahl.
Durch neue Technologien ist die Anzahl unser täglich zu treffenden Entscheidungen auf ca. 35.000 gestiegen.
Gründer der UX & Digital Marketing-Agentur Huge, Aaron Shapiro meint, dass großartig gestaltete Erlebnisse uns von dem abgelenkt haben, was wirklich zählt: Komplexitätsreduktion und ein vereinfachtes Leben.
Diese Umstände führen dazu, dass sich Anticipatory Design weithin als neue Disziplin etablieren könnte und die User Experience immer weiter automatisiert und wieder zunehmend vereinfacht werden würde.
Was ist Anticipatory Design?
Bein Anticipatory Design geht es um die ultimative User Experience. Ziel dieser Design Disziplin ist es die User Experience durch die Vorhersage bzw. Antizipation der nächsten Interaktion bzw. des konkreten Nutzerbedürfnisses zu optimieren.
Es geht darum das Userverhalten tiefgreifend zu verstehen und daraus zu lernen, was Nutzerbedürfnisse und daraus resultierende folgende Wünsche sind und entsprechende Aktionen durch die komplette Abnahme von Entscheidungen zu triggern.
Erreicht werden soll dies durch die Einschränkung der Auswahl bzw. Ausschluss von Wahlmöglichkeiten, denn diese werden dann nicht mehr benötigt, wenn man bereits weiß, welche Entscheidung der User höchstwahrscheinlich treffen wird.
Dem User wird eine Erfahrung ermöglicht, bevor er überhaupt weiß, dass er diese Erfahrung machen will oder in Betracht gezogen hat, dass er diese Erfahrung machen könnte.
Der Prozess bis zur Antizipation von User-Entscheidungen lässt sich in drei Phasen oder Stufen unterteilen:
Die Auswahl vereinfachen/einschränken
- Vorausgewählte Einstellungen als Standard
- Präferenzen des Users merken
- Empfehlungen basierend auf bisherigem Userverhalten
Einfluss auf die Entscheidungen nehmen
- Überschüssige Optionen entfernen
- Einsatz von Behavior Patterns
- Für den häufigsten Use Case optimieren
Antizipation der Entscheidung
- Einstellungen auf dem Weg zur Conversion festlegen
- kognitive Leistung des Users minimieren
- User “unerwartet” positiv überraschen
Sie wollen mehr über Behavior Patterns und deren Einsatzmöglichkeiten erfahren? Lesen Sie zu diesem Thema unsere Blogartikel:
“Behavior Patterns – Kundenbedürfnisse verstehen und triggern: “Digital Behaviorist” Philipp Spreer im Interview” “Behavior Patterns im E-Commerce – Unterbewusste Kaufentscheidungen bewusst steuern“
Diese Phasen findet bereits teilweise in einigen Branchen, wie E-Commerce. Reisebuchung, Streaming-Diensten und vielen weiteren ihre Umsetzung. Doch gerade in Bezug auf “Internet of Things” (IoT) und die damit verbundene Etablierung neuer Technologien, könnte Anticipatory Design verstärkt zum Einsatz kommen, vor allem, um das alltägliche Leben deutlich zu vereinfachen und für die User noch bequemer zu gestalten.
Wie setzt sich Anticipatory Design zusammen?
Smarte Technologien und Systeme erheben durch “Beobachtung” des Userverhaltens Daten, die dann mit Hilfe von Algorithmen über Machine Learning interpretiert werden. Mit UX Design, werden diese Daten dann zu Handlungen und zur Gestaltung integrierter, antizipierter Erlebnisse genutzt.
Dieser Prozess funktioniert allerdings nur, wenn alle drei Bereiche effektiv miteinander verknüpft und entsprechend aufeinander abgestimmt sind.
Verschiedene Bereiche werden zu einer neuen Disziplin
Grundsätzlich muss das Thema Technologie im Vordergrund stehen, um Daten zu erheben. Damit werden dann die weiteren wichtigen Disziplinen gefüttert, um zur Antizipation der Entscheidung seiner User zu gelangen.
Technologie
Eine Voraussetzung, die in jedem Fall erfüllt sein muss, ist der Einsatz passender Technologien, wie beispielsweise ein Analytics-System, um an Daten zum Userverhalten auf Ihrer Website oder in Ihrer App zu gelangen. Daraus können Sie dann Schlussfolgerungen ziehen und wissen, welche Entscheidungen Ihrer User auf dem Weg zu ihrem Ziel getroffen haben.
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Machine Learning
Gerade beim Einstieg in das Thema Anticipatory Design können Sie auf bereits verfügbare Tools zurückgreifen und müssen hier nicht einen “Zauber-Algorithmus” selbst entwickeln, der jegliche Eventualitäten abdeckt. Für den Anfang eignen sich verschiedenen Personalisierungs-Tools hervorragend, da diese oftmals auch selbstlernende Algorithmen hier integriert sind.
User Experience Design
Hierbei sollten Sie auf die Kompetenz eines erfahrenen UX-Designers bzw. UX Design-Teams setzen. Auf Basis Ihrer quantitativen und qualitativen Analysen zum Userverhalten kann Ihr UX Designer neue Möglichkeiten entwickeln, um höhere Conversions zu erzielen. Allerdings sollten Sie sich die Frage stellen, wie stark Sie Anticipatory Design einsetzen wollen bzw. sollten.
Mehr zum Thema UX Design und die Korrelation zu Analytics finden Sie in unserem Blogartikel: “Analytics: DAS Fundament gelungenen UX Designs – Datenbasiert zur positiven User Experience“
Denn es muss sinnvoll zu Ihrer Website und Ihrer Dienstleistung oder Ihrem Produkt passen.
Welche Entscheidungen sollten dabei in den Händen Ihrer User bleiben, welche Entscheidungen können Sie ihnen abnehmen, und wo macht es Sinn die Entscheidungen Ihrer User nur zu beeinflussen?
Um sicherzustellen, dass Sie Ihren Usern auch wirklich die bestmögliche User Experience bieten, sollten testen wie die Akzeptanz von Services, die Ihren Usern Entscheidungen abnehmen, ist.
Wie viel Auswahl sollte beim User bleiben?
Seien Sie sich darüber im Klaren, dass es nicht mit einem guten Machine Learning-Tool oder einem guten Algorithmus, der alles automatisiert “regelt” allein getan ist. Damit für Ihre User dauerhaft eine hohe Relevanz gegeben ist, ist es essentiell, so viele Informationen zu Ihren Usern und deren Kontext wie möglich zu sammeln.
Dann ist ein gewisses Einfühlungsvermögen in Ihre User gefragt, um in den entsprechenden Kontexten relevanten Content und das Abnehmen von Entscheidungen zu entwickeln. Durch den Einsatz von Machine Learning können diese Überlegungen und Konzepte dann stetig optimiert werden.
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Um einschätzen zu können, welches Maß an Entscheidung man seinen Usern abnehmen kann und in welcher Intensität man Anticipatory Design nutzen sollte, hat Sophie Kleber von Huge ein Diagramm erstellt. Es kann dabei unterstützen, herauszufinden, welcher Weg für Sie am geeignetsten ist.
Wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ausfällt, dass Sie mit der Entscheidung für Ihre User richtig liegen und die Kosten für eine Fehlentscheidung dabei gering sind, können Sie komplett auf Anticipatory Design setzen.
Ist jedoch das Gegenteil der Fall und die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass Sie die richtige Entscheidung für Ihre User treffen und dabei die Kosten für eine Fehlentscheidung sehr hoch sind, sollten Sie Anticipatory Design nicht einsetzen.
Beispiele für den Einsatz von Anticipatory Design
Bereits heute findet sich Anticipatory Design in verschiedenen Branchen und unterschiedlicher Ausprägung wider. Denn der Kern von Anticipatory Design, ist es durch intelligente Auswertung vorhandener Daten dem User vorausschauend einen gewissen Teil an kognitiver Arbeit abzunehmen. Dies kann in der konkreten Umsetzung dann ganz unterschiedlich ausfallen und verschiedene Bereiche abdecken.
Im Folgenden finden Sie einige Beispiele, wie die Disziplin umgesetzt wird.
Empfehlungen bei Netflix, Spotify und Amazon Prime
Zwar nehmen die Filmempfehlungen von Netflix oder Amazon Prime oder die Songempfehlungen von Spotify dem User keine Entscheidung im klassischen Sinn ab, aber sie erleichtern die Entscheidung erheblich. Denn diese Empfehlungen basieren auf den Nutzungsdaten der User und helfen dem User dabei, sich für den nächsten Song oder die nächste Serie zu entscheiden.
Diese Empfehlungen fallen in den Bereich “Auswahl beeinflussen”. Die Empfehlungen werden also aufgrund der Nutzungshistorie (häufig gesehene bzw. gehörte Genres) und der persönlichen Präferenzen (gute Bewertungen für Filme/Serien oder Songs) ausgespielt und sollen den User bei der großen Auswahl unterstützen und ihn an der kontinuierlichen Nutzung der Plattformen halten.
Events bei Facebook
Der Hintergrund der angezeigten bzw. empfohlenen Events bei Facebook ist ähnlich wie bei den Empfehlungen der Streaming-Dienste. Der User soll die Plattform weiterhin regelmäßig nutzen. Daher werden in regelmäßigen Abständen neue Events angezeigt, die basierend auf der Geolocation oder der Interessen der User ausgewählt werden.
Zudem bekommen User auch Events ausgespielt, die von Kontakten mit denen der User häufig interagiert besucht werden. Auch diese Vorgehensweise fällt in den Bereich “Auswahl beeinflussen.
Amazon Dash Replenishment
Produkte des täglichen Bedarfs, wie z.B. Kaffee, Druckerpatronen, Shampoo, Waschmittel, etc. können automatisch nachbestellt werden, bevor diese komplett aufgebraucht sind. Hierfür werden Geräte mit Amazon connected, die beispielsweise den Füllstand der Produkte messen und bei geringer Menge automatisch nachbestellen.
Hierbei handelt es sich um klares Anticipatory Design, da dem User der komplette Prozess des Nachbestellen abgenommen wird und sich dieser nach der ersten Einrichtung um nichts mehr kümmern muss.
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Natürlich gibt es noch viele weitere Beispiele, die den Ansatz des Anticipatory Designs in unterschiedlicher Stärke verfolgen und die Tendenz gerade in Bezug auf “Internet of Things” ist steigend.
Fazit
Bereits heute lässt sich das Anticipatory Design in vielen Bereichen finden, um dem User eine vereinfachte User Experience zu bieten und einer Art “Entscheidungsmüdigkeit” entgegenzuwirken, mit dem Ziel die Zufriedenheit der User zu steigern und diese auch zu motivieren Services kontinuierlich weiter zu nutzen.
Grundsätzlich sollten Sie sich allerdings immer die Frage stellen, wie sinnvoll es ist Ihren Usern bestimmte Entscheidungen abzunehmen und ob dies auch von Ihren Usern so akzeptiert wird.
Denn wenn der Einsatz von Anticipatory Design übertrieben oder unpassend ist, kann der Grundgedanke einer positiven User Experience und zufriedenen Usern auch schnell in die Gegenrichtung umschlagen und Sie verlieren Ihre User. Hier müssen Sie für sich und Ihre User ein geeignetes Maß finden.
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